Keine Lust

Alexander hatte es gut in seiner Kindheit. Seine Eltern waren wohlhabend, der Vater hatte eine Fabrik für Elektromotoren. Wegen der zunehmenden Elektromobilität wuchs sein Unternehmen und damit auch sein Wohlstand. So konnte sich Alexander viele Wünsche erfüllen, er spielte in einem Tennisclub, hatte immer das neueste Smartphone und die beste Musikanlage. Gerne ging er mit seinen Freunden auf Musikfestivals. Er machte sein Abitur und die Erwartung der Eltern war, dass er studierte. Studiere doch Betriebswirtschaft, das kann dir nutzen, solltest du einmal meinen Betrieb übernehmen sagte der Vater. Seine Freundin studierte in Mainz und Alexander sagte sich, dann gehe ich auch nach Mainz zum Studieren. Sein Vater schickte ihm jeden Monat einen Scheck über 1000 ?. Nach dem ersten Semester überkam Alexander eine große Lustlosigkeit. Das interessiert mich doch alles nicht sagte er zu seiner Freundin und zu sich selbst. Er ging auch gar nicht mehr zur Uni. Manchmal ging er noch zu Treffen mit seinen Kommilitonen, an denen dann viel Wein getrunken wurde. Aber seine Freunde von der Uni sprachen dann meist über die Vorlesungen, über die Referate die zu halten waren und über das was die Professoren so alles verlangten. Da konnte Alexander natürlich nicht mitreden. Ich habe keine Lust auf gar nichts, sagte er oft. Das Leben hat mir nichts zu bieten. Seine Freundin wollte ihn aufmuntern, ach komm doch mit zur Demo gegen die Klimaveränderung, ach komm doch mit ins Kino, ach komm wir gehen wandern, ach komm wir gehen Freunde besuch, ach komm wir gehen ins Theater. Die Antwort von Alexander war immer die Gleiche: Keine Lust. Da wurde es Sylvia zu langweilig und sie wollte nicht mehr Alexanders Freundin sein.

Seine Eltern, die in Hamburg wohnten, telefonierten mit ihm und fragten, wie es mit dem Studium denn so laufe. Gut, gut, war dann Alexanders Antwort. Der Vater aber merkt, dass Alexander nicht die Wahrheit sagte. Er kannte seinen Sohn und hörte es an seiner Stimme. Alexanders Vater setzte sich in den Zug fuhr nach Mainz und erkundigte sich an der Uni nach den Fortschritten seines Sohnes im Studium. Dort musste er erfahren, dass Alexander schon lange nicht mehr an Übungen und Vorlesungen teilgenommen hatte. Der Vater traf sich mit Alexander und sagte ihm, was er gehört hatte. Ich werde dir kein Geld mehr für Faulenzerei geben, teilte er Alexander mit.

Da wollte Alexander gar nicht mehr sein Zimmer verlassen, den ganzen Tag schaute er Fernsehen, und da er auch keine Lust hatte etwas zu kochen ließ er sich, wenn er Hunger hatte eine Pizza von Giovanni aus der Pizzeria nebenan kommen. Nun aber wurde das Geld knapp. Seine Zimmerwirtin wollte ihn rausschmeißen wenn er nicht in den nächsten 14 Tagen die Miete bezahle. Auch bei Giovanni hatte er bald Schulden und Giovanni wollte ihm keine Pizza mehr liefern. Als Alexander wieder einmal bei Giovanni anrief machte dieser ihm einen Vorschlag: Du kannst bei mir die Pizza ausfahren. Mein Bote hatte einen Unfall mit seinem Fahrrad und kann nicht mehr fahren. Du kannst seinen Job übernehmen und dir so etwas Geld und deine Pizza verdienen. So blieb Alexander gar nichts anderes übrig als Pizzabote zu werden, wollte er nicht verhungern und als Obdachloser auf der Straße landen. Eines Tages lieferte er eine Pizza und staunte nicht schlecht als sein alter Deutschlehrer Herrn Drosselbart die Türe öffnete. Das ist aber eine Überraschung sagte Herr Drosselbart. Ich habe mich nach Mainz versetzen lassen und nicht damit gerechnet, einen alten Schüler von mir hier zu treffen. Na, du studiert doch sicher und mit deiner Arbeit als Pizzabote verdienst du dir etwas nebenbei. Nein, meinte Alexander, ich habe mein Studium geschmissen und mein Vater zahlt mir keinen Unterhalt mehr. Da geht es mir jetzt schlecht ohne eine rechte Arbeit. Mein Vater will, dass ich arbeite, ich habe aber einfach keine Lust. Ich hätte da was für Dich, meinte Herr Drosselbart. Mein Bruder arbeitet in der Redaktion der Tageszeitung Mainz, die suchen da einen Volontär, du warst zwar nicht mein bester Schüler aber deine Aufsätze waren immer gut oder sehr gut. Du kannst doch etwas mehr als Pizza ausfahren. Keine Lust, war die Antwort von Alexander. Als am nächsten Monat die Zimmerwirtin wieder Miete verlangte und Alexander nicht zahlen konnte, da er mit dem Pizzaausfahren nicht genug verdient hatte, drohte sie ihm erneut ihn auf die Straße zu setzen. Da besann sich Alexander und besuchte Herrn Drosselbart, der dann seinen Bruder anrief und ihm Alexander als Volontär empfahl. Er soll kommen, sagte Herr Drosselbarts Bruder. Wir machen gerade eine Serie über die Probleme in Deutschland. Ich bin derjenige Redakteur, der zu den Themen recherchiert. Alexander, du könntest mit einem Aufnahmegerät Leute interviewen die betroffen sind. Wir fangen mit dem Thema Arbeitslosigkeit an, meinte Herr Drosselbart von der Zeitung. Ich recherchiere wieviel Leute arbeitslos sind, wieviel davon Langzeitarbeitslose sind und was die Regierung gedenkt gegen die Arbeitslosigkeit zu tun. Du kannst gehen und einen Langzeitarbeitslosen interviewen. Die Serie über die Probleme in Deutschland war lang. Alexander führte ausführliche Gespräche mit Langzeitarbeitslosen, mit Obdachlosen, Alten in Pflegeheimen, verarmten Witwen, Drogenabhängigen und Bewohnern von Altenheimen. Über seine Gespräche konnte Alexander interessante Berichte verfassen. Herr Drosselbart von der Mainzer Zeitung lobte ihn sehr. Nach einem Jahr stellte ihn die Zeitung als Redakteur ein. Nach einem weiteren Jahr fragte ihn sein Chef, ob er nicht Lust habe, Korrespondent für die Zeitung in China zu werden. Er müsse dann aber noch chinesisch lernen. Alexander sagte ja, lernte chinesisch und wurde Korrespondent in Peking. Er berichtete für die Zeitung von der chinesischen Politik, der Kultur, dem Sport und dem Alltag der Chinesen. Er heiratete in Peking eine Frau aus Chengdu und bekam von ihr 7 Kinder.

Jedes Jahr kommen Alexanders Eltern aus Deutschland und freuen sich über die Enkelkinder, ihren Sohn und die Schwiegertochter. Alexander zeigt seinen Eltern bei jedem Besuch eine andere chinesische Millionenstadt. Er macht daraus eine Zeitungsserie, mit dem Titel: "Wie ein deutsches Paar China kennenlernt". Toll, sagen die Eltern, dass wir durch Euch eine andere Kultur kennenlernen dürfen. Die Schwiegereltern geben zu Ehren des Besuchs aus Deutschland ein großes Essen mit Freunden und Bekannten. Alexanders Vater besucht chinesische Fabriken, die Elektromotoren bauen. Da kann ich für meine Firma manche Anregung mit nach Deutschland nehmen, sagt er.