Onkel Willis Reise zu den Grizzlybären in Kanada


Onkel Willi arbeitet als Beamter beim Finanzamt in Wuppertal. Er berechnet die Steuer für die Wuppertaler Bürger. Wer viel verdient, der muss viel Steuern bezahlen, wer wenig verdient, der muss wenig Steuern bezahlen. Steuern sind wichtig sagt Onkel Willi. Mit ihnen werden ja Krankenhäuser und Altenheime gebaut und die Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte bezahlt. Mit den Steuern werden auch Straßen gebaut und Geld für Schulen und Kindergärten muss es ja auch geben.

Wenn Onkel Willi nicht im Finanzamt ist, dann liest er Bücher über Grizzlybären. Er interessiert sich für die Länder Kanada und Alaska die weit im Norden von Amerika liegen. Die Pflanzen die dort wachsen und die Tiere, die dort leben, faszinieren ihn. Er liebt weite Landschaften, wo man nur wenige Menschen findet und wo die Natur noch nicht durch Menschen verändert ist. Wenn ich bei den Tieren und Pflanzen des Nordens sein darf, die in den Weiten Kanadas und Alaskas zu Hause sind, dann fühle ich mich wohl, sagt Onkel Willi. Einmal im Jahr fliegt er zum Yukon-Fluss, das ist ein Fluss noch größer und länger als der Rhein. Er fließt von Kanada nach Alaska und mündet im Eismeer. An diesem Fluss leben viele Grizzlybären. Mit einer Bärin, mit Lissy, hat Onkel Willi sich angefreundet. An einer Stelle, wo der Yukon einem großen Bogen macht, gibt es saftige Wiesen. Hier trifft sich Onkel Willi schon seit vielen Jahren mit Lissy. Sie kennen sich genau. Lissy erkennt Onkel Willi am Geruch und Onkel Willi erkennt Lissy an ihrem weißen Fleck auf der Brust. Immer im August schlägt Onkel Willi sein Zelt in dieser Bucht auf. Von der Stadt Whitehorse reist er mit einem Kanu 720 km den Yukon-River hinab bis zur Goldgräberstadt Dawson. Für diese Strecke braucht er 13 Tage. Das ist nicht immer ein Zuckerschlecken, sagt Onkel Willi, insbesondere die Stromschnellen, z.B. die Five-Finger-Rapids, sind nicht ungefährlich und man muss schauen, dass man nicht kentert oder auf einen Felsen fährt. Früher waren am Yukon viele Menschen die nach Gold gesucht haben. Heute sind die meisten Hütten der Goldsucher und Trapper die damals gebaut wurden dem Verfall preisgegeben. Auch Ruinen der alten Goldwaschanlagen begegnen einem auf dieser Strecke. Das meiste Gold was hier mal angeschwemmt wurde ist wohl schon gefunden worden, glaubt Onkel Willi.

In Dawson steigt Onkel Willi im Downtown-Hotel ab und trifft dort seinen Freund Jack London. Hallo Altes Haus, mein Freund und Fallensteller, mit diesen Worten umarmt Onkel Willi seinen Freund Jack. Jack London ist der erfolgloseste Goldsucher am Yukon und Klondike-River. Na, wieviel Gold hast Du denn dieses Jahr geschürft, will Onkel Willi von Jack wissen. Aber Jack winkt nur ab, ich glaube das Pech verfolgt mich. Ich habe nur Sand und Steine in meinem Sieb und in meiner Schüssel gehabt. Ich glaube es gibt hier gar kein Gold mehr zu finden. Ich habe mich entschlossen als Ranger zu arbeiten. Da kann ich etwas Sinnvolleres tun als diese sinnlose Suche nach Gold fortzusetzen. Weißt Du was, sagt Onkel Willi, komm doch mit, wir besuchen Lissy. Die Lissy ist so eine nette Bärin und erst ihre 4 Jungen, 1, 2, 3, und 4. Ich bin ja schon so gespannt, wie sie sich entwickelt haben. Letztes Jahr waren sie noch ganz klein, jetzt sind es schon zweijährige Jungbären, die wahrscheinlich viel Unsinn anstellen und Lissy das Leben schwer machen.

Gesagt, getan! Jack London und Onkel Willi besteigen das Kanu und fahren den Yukon hinab Richtung Alaska bis in die Nähe des Ortes Eagle, wo der Fluss eine starke Biegung macht. Die dortige Wiesenlandschaft bietet eine gute Anlandemöglichkeit. Dies ist der Platz, wo ich mich jedes Jahr mit Lizzy treffe, sagt Onkel Willi zu Jack. Auf der Wiese kann man gut sein Zelt aufbauen und genug Holz für ein Lagerfeuer gibt es auch. Allabendlich sitzen Onkel Willi und Jack gemütlich am Lagerfeuer beisammen und grillen Lachse. Manchmal können sie auch die grünen flackernden Nordlichter am Himmel sehen, eine Lichterscheinung, die es nur im hohen Norden gibt. Onkel Willi erzählt von Wuppertal, der Schwebebahn, den Fabriken und den Menschen in Deutschland, Jack von seinen Abenteuern als er noch Fallensteller war und sich noch nicht für den Naturschutz und die Erhaltung dieser einzigartigen Umwelt eingesetzt hat. Du müsstest mal im Winter hier sein, sagt Jack. Wir haben dann Minus 40 Grad und der Yukon ist zugefroren. Die Eisschollen türmen sich ineinander, das macht Töne und man glaubt der Fluss lebe und stöhne. Im Frühling dann, wenn die Schneeschmelze einsetzt kommt das Hochwasser. Man kann dann manchmal mit einem Kanu durch die Straßen von Dawson-City paddeln. Meine liebste Jahreszeit ist der Herbst, es gibt kein schöneres Farbenspiel von Rot- Braun- Gelb- und Blautönen, schwärmt Jack. Alle Pflanzen verfärben sich und zeigen Farben, von denen man nicht geglaubt hätte, dass sie die Pflanzen hervorbringen können. Auch das Licht ist durch die tiefstehende Sonne besonders warm und schafft eine magische Atmosphäre. Schließlich ist diese Farbenpracht unter dem Namen "Indian Summer" weltweit bekannt.

Die Menschen sind hier meist arm, durch die Goldsuche wollen sie ein kleines Stück Glück finden, aber meistens finden sie nichts und landen im Elend. Ich hab mich immer für die Armen und die Arbeiter eigesetzt und versucht ihnen eine gute Arbeit zu beschaffen, sagt Jack. Ich habe ja schon viele Berufe in meinem Leben ausgeübt, sagt Jack, ich war schon Jäger, Fallensteller, Holzfäller und Schriftsteller. Aber jetzt bin ich Ranger und sorge dafür, dass die Natur hier nicht durch Touristen oder Firmen, die das Gold mit großen Maschinen schürfen und ausbeuten wollen, zerstört wird. Apropos Gold sagt Onkel Willi. Ich hab mir eine Goldgräberschüssel und ein Sieb besorgt, ich will auch mein Glück versuchen. Schließlich ist die Reise von Wuppertal zum Yukon recht teuer. Jack lacht nur, versuch dein Glück, ich glaube, Glück finden wir eher in dieser herrlichen Natur, bei den Tieren und in dieser einzigartigen Landschaft. Irgendwann, wenn ich mal in Rente bin, dann baue ich mir eine Blockhütte am Klondike-River und bessere meine Rente auf, indem ich nach Gold suche, meint Onkel Willi.

Am nächsten Tag sehen sie dann Lissy mit ihren 4 Rackern. Onkel Willi weiß, sie kommt um uns ihre Kinder vorzustellen auf die sie so stolz ist. Onkel Willi hat Ihnen Namen gegeben: 1,2, 3 und 4. Lissy erkennt Onkel Willi an seinem Geruch und erinnert sich genau, dass er letztes Jahr um diese Zeit auch schon da war. Aber da war Jack noch nicht dabei, an ihn muss sie sich erst gewöhnen. Die 4 Racker sind neugierig und wollen ganz nah an Onkel Willi und Jack heran. Aber Onkel Willi sagt in einem entschiedenen Ton: Nein, Abstand. Das verstehen die Kinder, sie respektieren den entschiedenen Ton von Onkel Willi und sie sehen, dass ihre Mutter auch Abstand hält. Abstand ist wichtig sagt Onkel Willi. Ich schätze Lizzy wiegt so 500 Kg und ist über 2 Meter groß. Ein freundschaftlicher Klaps mit ihrer Tatze kann bei uns Menschen schwere Verletzungen hervorrufen. Grizzly-Lissy mit ihren 4 Kindern, Jack und ich, wir können Freunde sein, aber eine Nähe zum Anfassen, das geht dann doch nicht. Grizzlys sind keine Kuscheltiere. Wir Menschen gehören nicht zum Beuteschema der Grizzlys, aber wenn sie schlecht gelaunt sind, Hunger haben oder sich gestört fühlen, dann kann es auch sein, dass sie Menschen angreifen.

Grizzlys sind gerne im Sommer am Fluss, da in dieser Zeit viele Lachse zum Laichen den Yukon hinauf schwimmen. Und Lachs ist nun mal die liebste Speise der Grizzlys. Sie sind Feinschmecker, zum Frühstück fangen sie sich einen Lachs und nach dem Mittagsschlaf suchen sie sich Himbeeren oder Waldbeeren zum Nachtisch. Lissy zeigt ihren Kindern wie man Lachse fängt. Sie sagt: Mit zwei Jahren müsst ihr Euch Euer Essen selber fangen, für Eure 4 Mäuler kann ich nicht auch noch sorgen. Ich muss mir ja auch selber noch etwas Vorrat auf die Rippen schaffen, damit ich genügend Reserven habe, wenn ich im kalten Winter in unserer Höhle Winterschlaf halte. Und das ihr es nur wisst, nächstes Jahr müsst ihr euch ein eigenes Revier suchen, dann will ich euch in meiner Höhle nicht mehr sehen, ihr müsst selbständig werden und euch eine Freundin oder einen Freund suchen.

Die 4 Racker sind noch sehr verspielt, sie tollen über die Wiesen, jagen sich, lassen sich einen Hang hinunterkugeln. Ich hab Euch was mitgebracht ruft Onkel Willi und wirft einen großen Ball in Richtung der Bärenkinder. Die verstehen sofort, was man mit einem Ball machen kann, hin- und her schubsen, einen Hang hinunterkullern lassen und ihn wieder mit der Schnauze nach oben befördern. Irgendwann landet der Ball im Yukon, schwimmt davon und ist heute wahrscheinlich im Eismeer. Da wird Jack richtig sauer mit seinem Freund Willi. Stell Dir vor, die Bärenkinder hätten mit ihren Zähnen den Ball zerfetzt und das Plastik gefressen, davon wären sie sicher sehr krank geworden. Jetzt schwimmt das Plastik in das Eismeer, dort zerbröselt es, wird zu Mikroplastik und dann von Fischen gefressen. Irgendwann wird Dir dann in Wuppertal ein Fisch serviert mit dem Plastik, das hier in den Yukon geworfen wurde. Wie du weißt, bin ich Ranger und soll aufpassen, dass solche Dinge nicht passieren. Bitte bring niemals mehr Plastik mit hier in den Norden. Onkel Willi bleibt nichts anderes als sich zu entschuldigen. Ich wollte mich halt an den spielenden Bären freuen und habe nicht nachgedacht, dass es für Tier und Mensch schlecht ist, meint er kleinlaut.

Ihr sollt nicht nur spielen, ruft Mutter Lissy ihren Kindern zu. Ihr müsst auch Lachse fangen, der Winter in der Höhle ist lang und ihr braucht Speck auf den Rippen damit ihr im nächsten Frühjahr gesund in Euer selbständiges Leben starten könnt. Die Kinder brummen unzufrieden, aber sie hören auf die Mutter. Bärenkind 3 ist noch sehr ungeschickt im Lachse fangen. Mutter muss ihm Nachhilfe geben. Erst den Fisch in seichtes Wasser treiben, dann mit der Tatze festhalten und zubeißen.

Nach drei Wochen muss sich Onkel Willi verabschieden. Er steigt mit Jack in sein Kanu. Lange und traurig blickt er auf die Bärin mit ihren Jungen, wie sie friedlich auf der Wiese liegen und Mittagsschlaf halten. Bis nächste Jahr, ruft er. Die Bärin aber schaut nur kurz auf um dann weiter zu dösen. Als sie wieder in Dawson sind muss sich Onkel Willi auch von Jack verabschieden. Er schenkt ihm sein Kanu. Nächstes Jahr machen wir wieder eine Kanutour, mal sehen ob wir die Bärin wiedertreffen. Die Jungen sind wahrscheinlich dann schon ausgeflogen, dann umarmt Onkel Willi seinen Freund Jack. Jack bringt Onkel Willi noch zu dem Flugplatz von Dawson, der im Klondike-River-Tal liegt. Mit einer kleinen Maschine fliegt er erst nach Whitehorse. Von oben sieht er voller Abschiedsschmerz noch einmal auf den Verlauf des Yukon, wie er sich durch die bergige Landschaft schlängelt. Die nächsten Flieger gehen von Whitehorse nach Vancouver und von dort nach Frankfurt. Und von Frankfurt geht es dann mit dem ICE nach Wuppertal.

Ich kann Euch sagen, die Arbeitskolleginnen und Kollegen staunen wenn Onkel Willi von seiner Reise erzählt, sie können gar nicht genug von den Grizzlys und den Bärenkindern hören. Er zeigt den Kolleginnen und Kollegen zwei kleine Goldkörner: Die habe ich selbst aus dem Sand des Yukon gewaschen, berichtet er stolz. Meine Reisen sind sehr intensiv, sagt Onkel Willi und ich lerne Leute kennen, die trifft man meistes nur in der Phantasie, sonst Nirgends.